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15.02.2023 | Zusammenhang der Telomerlänge mit einer vorausgegangenen Blastozystenkultur

Telomere sitzen an den Enden der Chromosomen und werden durch das Enzym Telomerase verlängert. Dies wirkt einer Verkürzung der Chromosomenenden in sich schnell teilenden Körperzellen entgegen, welche mit dem biologischen Altern in Verbindung gebracht wird.
Eine hochrangig publizierte Studie aus China (Wang et al. Leukocyte telomere length in children born following blastocyst-stage embryo transfer. Nat. Med. 2022; 28: 2646–2653; https://www.nature.com/articles/s41591-022-02108-3) beschreibt einen Zusammenhang zwischen der Telomerlänge bei 1-jährigen Kindern und einer vorausgegangenen IVF-Therapie. Hierzu wurden die Telomere im Gesamtgenom (WGS) der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) bei Kindern nach einer künstlichen Befruchtung (n = 202) oder natürlicher Empfängnis (n = 205) sowie bei deren Eltern analysiert.

In der multivariaten Regressionsanalyse hatten Kinder nach künstlicher Befruchtung  auch nach Adjustierung für das Alter der Eltern signifikant kürzere Telomere. Die Autoren untersuchten weitere Faktoren im Zusammenhang mit der durchgeführten Kinderwunschbehandlung wie die zugrundeliegenden Ursachen des unerfüllten Kinderwunsches, die eingesetzten Medikamente oder eine vorausgehende Kryokonservierung und/oder unterschiedliche Länge der Kulturdauer vor dem Embryotransfer. Nach multivariater Regressionsanalyse war eine längere Kulturdauer bis zum Blastozystenstadium mit signifikant kürzeren Telomeren verbunden und wird damit als hauptursächlich für die Unterschiede zwischen den Studiengruppen identifiziert.

Eine Blastozyste entsteht am 5. Tag der menschlichen Embryonalentwicklung. Der Transfer eines einzelnen Embryos ist in diesem Stadium statistisch mit einer höheren Schwangerschaftschance gegenüber „jüngeren“ Embryonalstadien verbunden. Die Übertragung eines einzelnen Embryos trägt durch die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften wiederum zur höheren Wahrscheinlichkeit für eine unkomplizierte Schwangerschaft und Geburt eines gesunden Kindes bei. Das älteste durch eine IVF-Therapie mit nachfolgendem Embryotransfer geborene Kind ist erst 44 Jahre alt, so dass trotz der mittlerweile mehr als 8 Mio. weltweit nach assistierter Reproduktion geborenen Kinder noch wenig über Auswirkungen auf die langfristige Gesundheit – beispielsweise auch den Alterungsprozess oder die Anfälligkeit für chronische Erkrankungen – bekannt ist. Aufgrund einer noch deutlich kürzeren Nachbeobachtungszeit der nach einer Blastozystenkultur geborenen Kinder und da während dieser embryonalen Entwicklungsphase wichtige epigenetische Prozesse stattfinden, ist die oben dargestellte Studie umso bedeutender. Die Aussagen der Autoren zur vermuteten Bedeutung verkürzter Telomere für das biologische Altern und die langfristige Gesundheit von Kindern nach einer künstlichen Befruchtung sowie dem daran bestehenden Anteil durch die Blastozystenkultur werden erst durch weitere Studien besser einzuordnen sein.

Gleichwohl sollte uns diese Publikation bereits darin bestärken, die Indikation für eine Kinderwunschtherapie und die dafür erforderlichen labortechnischen Maßnahmen auch unter dem Aspekt der Invasivität zu prüfen sowie über die darin liegenden Chancen und Risiken individuell zu beraten.


Prof. Dr. med. Barbara Sonntag